Alle Jahre wieder
Kerb
oder: Wie der brave Kerweborsch L. aus B. einen ganz normalen Kerwefreitag erlebte
Kerwefreitag, 14:11 Uhr.
Die Sonne scheint. Wir ziehen mal wieder los, um im Wald die Kerwebäume zu holen. Ist mal wieder ziemlich anstrengend - die Bäume stehen schief und sehr ungünstig. Naja, mit viel gutem Willen und vor allem Kraft schaffen wir das. Der Mittag geht schnell rum.
18:45 Uhr: Endlich wieder im Ort. Schnell nach Hause zum Duschen. Wo ist denn nun schon wieder mein Kerweborschpulli? Shit, der liegt seit Montag beim Kerwevadder im Keller.
19:05 Uhr: Sprint zum Kerwevadder. Zum Glück hat seine Mutter meinen Pulli frisch gewaschen.
19:20 Uhr: Mit dem Fahrrad zum Volkshaus. Bieranstich ist angesagt.
19:33 Uhr: Es wird viel geredet. Jeder scheint nervös zu sein, auf das bevorstehende Ereignis. Vor allem munkelt man bei den Blauen, dass wohl wieder mal das falsche Bierfass bereitsteht.
19:45 Uhr: Pustekuchen. Diesmal haben sie das richtige Fass. Unser Horst sticht das Fässchen an, und wir bemühen uns, die ersten Biere ohne zu lebbern zu trinken.
19:53 Uhr: Irgendeiner hat mal wieder das Kerweborschlied zu hoch und zu schnell angestimmt. Mir fällt auf, dass laut singen nicht alles ist.
20:08 Uhr: Die Panneflicker erklingen, die meisten können sogar den Text. Nix wie ab in die Krone.
20:13 Uhr: Komisch. Am Kerwefreitag sind alle immer pünktlich da. 30 Kerweborsch sitzen am Tisch. Nur einer fehlt, der ist wohl noch irgendwo am Schwätzen.
20:27 Uhr: Das Essen ist bestellt. Irgendwie fehlt es noch etwas an der Stimmung. Das kriegen wir. Ein kleines Lied zum Einstimmen kommt immer gut. Traditionell stimme ich den "Grünen Wald" an. Wow, hört sich ja mächtig gut an. Ich muss sagen, die Jungs können, wenn sie wollen.
22:12 Uhr: Die Krone ist gerammelte voll. Man kann sich nicht mehr bewegen. Wer jetzt ein Bier in der Hand hat, kann sich glücklich schätzen, denn so schnell wird er keines mehr bekommen. Die Lichter gehen aus. Der Kerwevadder sitzt auf der Rückenlehne seines Stuhls.
22:15 Uhr: Endlich herrscht Ruhe. Ein nervöser Kerwevadder beginnt mit den ersten Zeilen des Kerwespruchs. Man sieht deutlich, wie sich die Anspannung in ihm löst.
22:52 Uhr: Der Kerwespruch war mal wieder ein riesen Erfolg. Die Krone tobt. Ich selbst bin noch ziemlich fit. So zwei, drei von uns sehen nicht mehr ganz so gut aus.
23:08 Uhr: Meine Hände zittern. Ein Kribbeln im Bauch, als wäre ich frisch verliebt. Endlich um
23:38 Uhr werden wir rausgerufen. Jetzt geht es los. Ich bin total fertig mit den Nerven. In ein paar Minuten ist es soweit.
23:42 Uhr: Das alte Ritual. Der Pfarrer vorne weg. Dann der Kerwevadder und die Beivädder und schließlich die Kerweborsch. Wir sind ganz alleine. Die Gäste der Krone haben sich wieder in die Kneipe verzogen. Jeder weiß, das Kerbausgraben ist ganz allein die Sache von uns.
Bürgersteig hoch, eine scharfe Kurve, kurz zurück, dann wieder links. Der Pfarrer treibt wieder sein altes Spielchen mit uns.
23:47 Uhr: Wir sind am Sportplatz angekommen. Automatisch bilden wir einen Kringel. Achtung. Gleich kommt’s. „Kerweborsch, kniet nieder“, meint der Pfarrer. Gänsehaut am ganzen Körper. Wir leisten den Eid auf die Kerb.
23:50 Uhr: Wir schwirren aus. Keiner ist zu halten! Wo ist bloß die Kerb? Eine Flasche Wein, da hinten ist noch eine. Der Kerwevadder buddelt wie ein wilder. Wo hat er sie nur letztes Jahr vergraben?
23:58 Uhr: "Mer henn se! Mer henn se! Kummt bei!" Oh gott, alles da. Der Wein, die Worscht.
Und wieder der Pfarrer: "Kniet nieder" Der Kerwevadder veteilt Worscht un Woi.
Jaaaaa. "Kerweborsch, loaßt de Kerwemarsch erklinge, unser goldisch Biddelberner Kerb is wirrer do!"
00:00 Uhr: Der Waaaaaahnsinn beginnt. Jetzt flippen sie alle aus. Der Kerwemarsch. Er wird jetzt bestimmt noch hundertmal folgen. Ab in die Kneipen, Einmarsch, lasst die Kerb kommen. Jippiehhh.
06:30 Uhr: Ich bin zu Hause. Falle mit Klamotten in mein Bett.
07:45 Uhr: Ab zum Beemstelle. Nach knapp einer Stunde Schlaf geht es jetzt erst richtig los.